Es gibt viele Frauen über 50, 60 oder 70 Jahre, die sich nach etwas Neuem sehnen. Nach dem Aufziehen der Kinder und/oder der Pensionierung fragen sie sich, was sie mit ihrer Zeit, ihrer Erfahrung und ihrem Elan jetzt anfangen sollen. Sie möchten etwas Neues erleben, mit jungen Menschen zusammen sein, ihren Horizont und ihre Sprachkenntnisse erweitern.
Diese beiden Gruppen zusammenzubringen, ist die Idee hinter der Anfang 2010 von Michaela Hansen gegründeten Agentur Granny Aupair. Es ist keine Jobvermittlung, sondern ein Austausch: Die Granny wird wie ein Familienmitglied behandelt, hat freie Kost und Logis. Sie kümmert sich im Gegenzug um die Kinder, wie es nur eine Oma kann (auch wenn sie nicht verwandt ist), und hat die Chance, Land und Kultur anders als ein Tourist kennenzulernen.
Eine deutsche Au-pair-Oma hat, was viele junge Au-pairs nicht mitbringen: Sie besitzt Lebenserfahrung, ist geerdet und verantwortungsvoll. Sie feiert nicht nächtelang in Diskotheken, kommt mit Liebeskummer nach Hause oder ist vielleicht selbst noch ein halbes Kind. Für immer mehr Familien ist daher eine Au-pair-Oma die ideale Kinderbetreuung. „Unsere Grannys haben Zeit zum Backen, Basteln, Kochen und Spielen. Sie geben Liebe, Sicherheit und Geborgenheit und fangen auf, was berufstätige Eltern unter der Woche nicht leisten können“, sagt Michaela Hansen. Ihre Erfahrungen und fundierten Kenntnisse werden gebraucht und können für andere Menschen die Welt ein Stück weit besser machen.
Adieu, Berufsleben – hallo, Spanien!
Eine der über 1.000 Grannys, die das Abenteuer bislang gewagt haben, ist Sybille S. Auf der Seite von Granny Aupair wurde sie rasch fündig: In einem Dorf in La Rioja, Spanien, suchte eine vierköpfige Familie nach einer Granny, die Englisch sprechen kann. Sybille kam mit der Familie überein: Sie würde bei der Betreuung der Mädchen helfen und hätte die Vormittage frei, um einen Spanischkurs in der nahen Stadt Logrono zu besuchen.
Zwischen Alltag und Freizeit
Drei Monate lang unterstützte Sybille Esther und Luis bei der Beaufsichtigung der Töchter Angela und Marina. Schon am ersten Wochenende fand ein großes Treffen mit Freunden statt, um die Granny gebührend vorzustellen. Es wurde gewandert, geredet, gelacht und gekocht, ehe es dann gegen 16 Uhr "Mittagessen" gab. Sybille sagt dazu:
"An diesem Tag erhielt ich also meine erste Lektion in Sachen spanischer Lebensart:
1. Mittagessen hat mit der Mittagszeit nichts zu tun.
2. Für eine Einladung muss nicht alles perfekt vorbereitet sein. Hauptsache man trifft sich und hat zusammen Spaß."
Zum Start ihres Sprachkurses verfuhr sich Sybille zunächst heillos, war jedoch begeistert von der unkomplizierten Hilfsbereitschaft der jungen Spanier: Eine Frau fuhr ihr voraus, um sie sicher abzuliefern. Das Lernen selbst hat ihr Freude bereitet, die Fortschritte sie beflügelt. Mit den Lehrern und den anderen Schülern standen viele Ausflüge und auch Besuche in Tapas Bars auf dem Programm.
Feiern wie die Spanier
Sybilles erste Woche war geprägt von dem jährlichen Fest "San Mateo": Die Kinder haben schulfrei, viele Erwachsene nehmen sich Urlaub. Die Tage sind angefüllt mit Veranstaltungen und Attraktionen, und die Nächte gehören dem quirligen Zusammensein in den Tapas Bars. Kurz danach folgte das Arnedo-Festival, und Sybille konnte ihre Bekanntschaft mit all den neuen Freunden vertiefen.
Alltag mit den Mädchen
Nach den Schulferien gingen Angela und Marina wieder zur Schule, von der Sybille sie oft abholte. Sie brachte sie zur Oma, die gern auch für die Granny kochte, und beaufsichtigte sie bei den Hausaufgaben. Auch Englisch wurde etwas gelernt, aber oft waren die Mädchen vom langen Schultag müde. Abends fuhr Sybille sie erst zum Kommunionsunterricht und anschließend wieder nach Hause.
Begeistert vom spanischen Gemüt
Sybille nahm an einer mehrtägigen Wallfahrt durch das herbstlich-prächtige Rioja teil und hatte viele Berührungspunkte mit der herzlichen und einer Feier nie abgeneigten Bevölkerung des Landstrichs: "So viel Lebensfreude auf einmal hatte ich noch nie erlebt. Einfach nur schön!" Auch sonst war sie begeistert von der frohen, gastlichen Art der Spanier: "Wenn die Familie eingeladen war, dann war selbstverständlich auch die Au-pair eingeladen. Sie haben mich überall mit hin genommen und ich habe so sehr viel von der spanischen Lebensart mitbekommen. An einem Wochenende zum Beispiel haben wir eine Freundin und deren Familie in Zaragoza besucht. Wir sind zu fünft (!!!) bei den Freunden zum Übernachten aufgelaufen. So viel selbstverständliche Gastfreundschaft kenne ich von Deutschland her nicht. Die Spanier, die ich kennenlernen durfte, waren alle sehr sehr offen und liebenswert. Immer bemüht darum, dass ich mich wohlfühlen sollte … und sie haben einfach ein sonniges Gemüt und sind so unanstrengend!"
Der Aufenthalt hat Sybille neue Perspektiven beschert: "Rückblickend kann ich nur sagen, dass mir was Besseres als die drei Monate Spanien nicht hätte passieren können. Es war eine großartige Erfahrung, die 'Eisenbahnschienen' einfach mal zu verlassen und einen Schritt seitwärts vom Gewohnten zu tun.
Zwischenzeitlich finde ich mein 'neues Leben' prima und super spannend und ich bin jetzt wieder heiß auf weitere Abenteuer, die das Leben für einen bereit hält, wenn man sich drauf einlässt."